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PAULSKOJE (Paulskaja, Pawlowka), heute Dorf Pawlowka, Rayon Marx, Gebiet Saratow; deutsche Kolonie im linksufrigen Wolgagebiet

Rubrik: Geschichte und Geographie der Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich, in der UdSSR und GUS / Geschichte der Ansiedlung
Pawlowka. Straße. Foto Je. Moschkow, 2010.
Paulskoje. Kirche (Anfang des 19. Jahrhunderts).
Pawlowka Deutsches Holzhaus mit Anbau. Foto Je. Moschkow, 2010.
Pawlowka. Deutsches Backsteinhaus. Foto Je. Moschkow, 2010.
Pawlowka. Deutsches Holzhaus mit Tafel, auf der angegeben wird, welches Instrument der Hausherr

PAULSKOJE: (Paulskaja, Pawlowka), heute Dorf Pawlowka, Rayon Marx, Gebiet Saratow, im linksufrigen Wolgagebiet in der Nähe der Mündung der Flüsse Lisel und Maly Karaman in die Wolga, 319 Werst von Samara, 164 Werst von der Bezirksstadt Nowousensk, 46 Werst nordöstlich von Pokrowsk und vier Werst vom Zentrum des Amtsbezirks Katharinenstadt, an der von Nikolajewsk nach Saratow führenden Handelsstraße gelegene deutsche Kolonie. Von 1871 bis Oktober 1918 gehörte das Dorf zum Amtsbezirk [Wolost] Katharinenstadt (Bezirk [Ujesd] Nikolajewsk, Gouvernement Samara).

Nach Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen war Paulskoje bis 1941 Verwaltungszentrum des im Kanton Marxstadt gelegenen gleichnamigen Dorfsowjets, zu dem 1926 neben dem Dorf Paulskoje auch die Vorwerke Susly und Metschetka gehörten.

Die deutsche Kolonie Paulskoje wurde am 7. Juni 1767 von dem Anwerber Baron Caneau de Beauregard gegründet, der Anfang Juni 1767 die zweite ins Wolgagebiet gekommene Kolonistengruppe in den neu gegründeten Kolonien Boisroux, Caneau und Paulskoje ansiedelte.

Ursprünglich hatten die Kolonien keine eigenen Namen und wurden lediglich mit einer Ordnungsnummer versehen. Später erlaubte das Fürsorgekontor dem Anwerber Beauregard, für die von ihm gegründeten Siedlungen selbst Namen zu wählen, der auf diese Weise die Namen ihm nahestehender Personen und hochrangiger Vertreter der Staatsmacht verewigte. So bekam Paulskoje seinen Namen zu Ehren des russischen Thronfolgers und späteren Zaren Paul I. Im Erlass vom 26. Februar 1768, der die Benennung der Kolonien regelte, wurde der Name Paulskoje beibehalten. Der Name Pawlowka wurde dem Dorf nach 1915 im Zuge der im Land entfesselten antideutschen Propagandakampagne gegeben. Nach der Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen erhielten die Dörfer 1918 ihre deutschen Namen zurück.

Die ersten Kolonisten waren 87 aus Hessen-Darmstadt, Sachsen, Brandenburg und anderen deutschen Ländern stammende Familien (insgesamt 279 Personen). Weitere 135 Kolonistenfamilien waren zudem vorübergehend in Paulskoje untergebracht, um dort auf die Gründung weiterer Kolonien zu warten. Die ersten Kolonisten waren größtenteils Lutheraner, neun Familien (29 Personen) waren reformiert. Wie in vielen anderen Kolonien waren auch in Paulskoje einige wenige Katholiken unter den ersten Siedlern. So kamen im Zuge der Verteilung der Kolonisten drei Katholiken nach Paulskoje – der Ackerbauer Josef Kott mit Ehefrau sowie der Junggeselle Martin Neubert.

Die ersten Übersiedler waren mehrheitlich Ackerbauern und entsprachen somit hinsichtlich ihrer in der der alten Heimat ausgeübten Beschäftigung in vollem Maße dem Hauptziel der Anwerbung der Kolonisten, die in den Grenzregionen Russlands gelegenen Steppengebiete landwirtschaftlich zu erschließen. Neben den Ackerbauern waren auch vier Zimmermänner, jeweils drei Schneider, Müller und Bierbrauer, jeweils zwei Tischler, Schuhmacher, Schmiede, Feinweber und Färber sowie ein Frisör, ein Leinenweber, ein Knopfmacher, ein Husar, ein Schlosser, ein Goldschmied und ein Lehrer unter den Kolonisten. Der aus Deutschland stammende Volkskundler und Forschungsreisende Johann Gottlieb Georgi schrieb in seinem 1799 verfassten Werk „Beschreibung aller Nationen des Russischen Reichs“ mit Blick auf die deutschen Kolonien: „Ein ziemlicher Theil der Kolonisten, besonders die in ihrem Vaterland faul und keine Ackerbauern, sondern Stadtleute und theils Abentheurer waren, [machen] weder beym Ackerbau noch der Viehzucht große Progressen. Einige haben mit gutem Fortgange Tabaks- und Weinanbau, andere städtische Hanthierungen zu treiben angefangen.“ Dass nicht alle Kolonisten für die landwirtschaftliche Arbeit geeignet waren, wird durch den Umstand belegt, dass von den 33 Pferden und 86 Kühen, die den im Sommer 1767 vorübergehend in der Kolonie untergebrachten Kolonisten zugeteilt wurden, am Ende des Jahres nur noch 28 Pferde und 20 Kühe übrig waren. Die Kolonisten waren nicht in der Lage, sich um das Vieh zu kümmern, so dass dieses entweder verendete oder geschlachtet wurde.

Die mit der Feldarbeit vertrauten Kolonisten wiederum konnten schon bald sehr gute Ernten erzielen und Mühlen bauen, in denen sie ihr Getreide selbst mahlten. Die in Paulskoje ansässigen Kolonisten bauten Weizen, Roggen, Kartoffeln und Hafer sowie mit geringeren Erträgen Gerste und Erbsen an. Nach den Daten der Revision von 1834 waren den Kolonisten Landstücke in der Größe von 15 Desjatinen pro Kopf zugeteilt. Nach den Daten der im Jahr 1857 durchgeführten 10. Revision besaßen die zu diesem Zeitpunkt in der Kolonie ansässigen insgesamt 796 männlichen Kolonisten Landstücke in der Größe von etwa 5,7 Desjatinen pro Kopf (insgesamt 5.131 Desjatinen). Für die Organisation der landwirtschaftlichen Arbeit und der inneren Angelegenheiten der Kolonie waren Vorsteher zuständig, deren Namen größtenteils nicht überliefert sind. Bekannt ist lediglich, dass in den 1790er Jahren ein gewisser Bockshorn und in den 1840er Jahren Friedrich Span Vorsteher waren.

Mitte des 19. Jahrhundert waren die in Paulskoje ansässigen Kolonisten in den Nachbarkolonien auch als Korbflechter und Pfeifenhersteller bekannt. Mit der Zeit entwickelten sich diese Gewerke zu lukrativen Erwerbsquellen. Ende des 19. Jahrhunderts waren Dutzende Frauen und Kinder in Heimarbeit mit dem Flechten von Körben und anderen aus Stroh gefertigten Erzeugnissen und die Männer mit der Herstellung von Pfeifen beschäftigt, die in großen Mengen von geschäftstüchtigen Zwischenhändlern aufgekauft und in den großen Städten verkauft wurden.

Nach Angaben des Zentralen Statistik-Komitees gab es im Jahr 1859 im Dorf 175 Höfe. Nach den Daten des Gouvernements-Statistik-Komitees Samara gab es in der Kolonie 1910 317 Höfe und eine Butterei.

Nach der Machtübernahme der Bolschewiki kam es in vielen deutschen Dörfern zu gegen die gewaltsame Mobilisierung in das Nationale Regiment der Roten Armee gerichteten Widerstandsaktionen der Bauern. Anfang Oktober 1918 wurden in Paulskoje bei der Auflösung einer 1.500 Mann starken Demonstration drei Dorfbewohner getötet. Als in den deutschen Siedlungen im Frühjahr 1921 ein durch die Hungersnot provozierter, gegen die Sowjetmacht gerichteter Aufstand ausbrach, in dessen Verlauf weite Teile des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen in die Hände der Aufständischen fielen, blieb Paulskoje unter Kontrolle der Bolschewiki, die im Dorf Kontroll- und Beobachtungsposten einrichteten, die regelmäßige berittene Patrouillen durchführten und Aufklärung betrieben.

In den Jahren der Sowjetmacht gab es im Dorf eine landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft, einen Genossenschaftsladen und eine Lesehütte. Zur Zeit der Kollektivierung wurden die Kolchosen „K. Woroschilow“, „S. Ordschonikidse“ und „Roter Stürmer“ gegründet. Anfang der 1930er Jahre kamen viele aus Paulskoje stammende Kolchosbauern infolge der Hungersnot und des in den Kolchosen herrschenden Lebensmittelmangels zum Betteln in andere Dörfer. Nach den Erinnerungen von Dorfbewohnern waren für die einfachen Leute in ihrem hoffnungslos schweren, von Hunger, Kirchenschließungen, durchgängiger Kollektivierung und massenhafter Entkulakisierung geprägten Leben verschiedene Formen der kulturellen Freizeitgestaltung das einzige Luftloch. So wurde in Paulskoje ein von dem Tischler A. Balzer geleiteter Tanzkreis für alte Leute gegründet, dem elf Personen im Alter von 60-73 Jahren angehörten. Die Auftritte dieser weit über die Grenzen des Dorfes bekannten Gruppe, die die Traditionen der Wolgadeutschen bewahrte, zogen zahlreiche Zuschauer aus der weiteren Umgebung an. Im September 1941 wurden die Deutschen aus dem Dorf deportiert, das seit 1942 den Namen Pawlowka trägt.

Schule und Erziehungswesen

Der erste in Paulskoje tätige Lehrer war Gottlieb Leimann, ein 36-jähriger Lutheraner aus Zeitz, der zusammen mit seiner 38-jährigen Ehefrau Eva nach Russland gekommen war und sich als einer der ersten Siedler in der Kolonie niederließ. Am 5. März 1767 erhielt er vom Fürsorgekontor in Saratow 15 Rubel und zwei Pferde. Wie alle anderen Kolonisten musste auch Leimann Landwirtschaft betreiben. Er hatte jeweils zwei Pferde und Kühe, bewirtschaftete eine Desjatine Land und kümmerte sich neben der Landwirtschaft um die Unterweisung der Kinder. Anfänglich hielt er seinen Unterricht bei sich zu Hause ab, nach der Verteilung der im Winter 1767/68 vorübergehend in der Kolonie untergebrachten Kolonisten bekam das Dorf ein erstes Schulhaus. Schon wenig später musste die Gemeinschaft in Paulskoje allerdings einen neuen Lehrer suchen, da Leimann 1768 in die Kolonie Caneau weiterzog. Die Namen der späteren in der Kirchenschule tätigen Lehrer sind größtenteils nicht überliefert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Kirchenschule dem Ministerium unterstellt.

1893 wurde in Paulskoje eine Semstwo-Schule gegründet, deren erster Lehrer Arthur Johann Schmidt war. In der Semstwo-Schule lernten die Kinder in zwei Klassenzügen drei Jahre. Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Dorf zudem eine Ministerialschule eröffnet, die wie auch die Semstwo-Schule im Vergleich zu den kirchlichen Gemeindeschulen besser mit Lehrmaterial ausgestattet war und einen umfassenderen Lehrplan bot. Neben Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Gesang vermittelten die in diesen Schulen tätigen Lehrer den Schülern auch Elementarkenntnisse in Naturkunde, Geographie und Geschichte.

Nach den von Pastor J. Erbes, dem Probst des linksufrigen Wolgagebiets, zum Stand des deutschen Schulwesen zusammengetragenen Daten waren im Jahr 1906 357 der fast 3.200 Einwohner Kinder im Alter von 7-15 Jahren, die zum Besuch einer Elementarschule verpflichtet waren. 1906 besuchten 30 Jungen und 28 Mädchen die Semstwo-Schule, an der ein Lehrer tätig war. In der Kirchenschule lernten 135 Jungen und 164 Mädchen bei zwei Lehrern. Im Jahr 1910 war J. Lobes, einer der in der Kirchenschule tätigen Lehrer, zugleich Vorsitzender der Verbrauchergesellschaft. Beide Schulen wurden aus Mitteln der Kirchengemeinde unterhalten. Pläne der Gemeinde, 1915 eine weitere Semstwo-Schule zu eröffnen, wurden durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs durchkreuzt. In den Jahren der Sowjetmacht gingen alle Schule in die Zuständigkeit des Volkskommissariats für Bildungswesen über und wurden zu einer vierklassigen Grundschule zusammengelegt. 1926 wurde die Schule in Pawlowka zu einer Achtklassenschule.

Religionszugehörigkeit der Bevölkerung und Kirche

Die Kolonisten waren lutherischer und reformierter Konfession. Bis 1905 gehörte die evangelisch-lutherische Gemeinde Paulskoje zum 1768 gegründeten Pfarrsprengel Süd-Katharinenstadt, 1905 wurde Paulskoje Zentrum eines eigenen, am 19. September 1905 bestätigten Pfarrsprengels, zu dem auch die Kolonien Beauregard, Niedermonjou und Teljausa gehörten. Im Jahr 1905 lebten im evangelisch-lutherischen Pfarrsprengel Paulskoje 11.372 Gemeindemitglieder.

In den ersten Jahren nach der Ansiedlung wurden in den Kolonien Schulen und Kirchen gebaut, in denen sich das Gemeindeleben konzentrierte. Im Zuge dieses Aufbaus der dörflichen Infrastruktur wurde auch in Paulskoje ein erstes Schul- und Bethaus errichtet, dessen genaues Entstehungsjahr allerdings nicht bekannt ist. Die für den Bau aufgewendeten Mittel mussten die Kolonisten dem Staat innerhalb einer Frist von zehn Jahren zurückzahlen.

Im Jahr 1801 wurde in Paulskoje die erste lutherische Kirche errichtet, deren Bau die Kolonisten selbst finanzierten. Der von örtlichen Handwerkern ohne offiziell eingereichten Bauplan und Kostenvoranschlag errichtete kleine Holzbau hatte den Status einer Filialkirche. Bis Anfang der 1830er Jahre prüfte das Fürsorgekontor keine Bau- oder Kostenpläne und überließ den Kolonien selbst alle mit dem Kirchenbau einhergehenden Arbeiten. Nichtsdestotrotz war die Kirche so solide gebaut, dass sie selbst noch im Jahr 1860 an die Tochterkolonie Rosental (Bezirk Nowousensk, Gouvernement Saratow/ heute Dorf Rosowka, Rayon Krasny Kut, Gebiet Saratow) verkauft werden konnte. Das 1801 errichtete Kirchengebäude wurde sorgfältig abgebaut, nach Rosental gebracht und dort auf einem neuen Steinfundament wieder aufgebaut.

Mit dem Erlös aus dem Verkauf der alten Kirche und in der Gemeinde Paulskoje gesammelten Spendengeldern finanzierten die Kolonisten 1860 den Bau einer neuen Kirche. Der vergleichsweise kleine Holzbau wurde unter Leitung des Architekten des Fürsorgekontors F. Lagus im für die deutschen Kolonien damals typischen Stil errichtet. Im Innenraum war in vier durch Längs- und Quergänge geteilten Quadraten das Kirchengestühl aufgestellt, das Platz für 700 Gläubige bot. Die Balkone wurden durch massive Holzpfeiler gestützt. Neben der Kirche standen das 1905 bei der Gründung des Pfarrsprengels errichtete Pfarrhaus, eine Leichenhalle und ein freistehender hölzerner Glockenstuhl.

Mit der Etablierung der Sowjetmacht wurden im Land zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die den Einfluss der Kirche auf Staat und Gesellschaft beseitigen und in letzter Konsequenz der Tätigkeit aller Konfessionen ein Ende setzen sollten. Im Sommer 1921 wurde das gesamte Wolgagebiet von einer durch die Politik des „Kriegskommunismus“ provozierten und durch Dürre verstärkten katastrophalen Hungersnot heimgesucht, an deren Bekämpfung von Herbst 1921 an zahlreiche sowohl weltlich als auch religiös ausgerichtete internationale Organisationen beteiligt waren.

Auch wenn die meisten Hungernden die von den unterschiedlichen religiösen Organisationen geleistete Hungerhilfe dankbar entgegennahmen, gab es doch einige Fälle, in denen deren Annahme verweigert wurde. So beschrieb z.B. der Paulskojer Pastor Johann Seydlitz den folgenden Fall: „Eines der Kleiderbündel hatte die Aufschrift 'für Pastoren und Küster', womit natürlich die Küster und Kirchenlehrer gemeint waren, die es aber gar nicht mehr gab. Der Lehrerverband, der als antikirchliche Organisation gegründet worden war, verweigerte offiziell die Annahme der Kleidung, was aber die einzelnen Lehrer nicht davon abhielt, die ihnen zugedachten Sachen privat entgegenzunehmen. Auch wenn viele Angst hatten, für alle sichtbar mit der Kirche in Verbindung gebracht zu werden.“ In Paulskoje leitete Pastor Seydlitz ein kirchliches Hungerhilfekomitee. 1927 zog er auf die Krim, wo er in der Gemeinde Zürichtal diente. 1930 wurde er verhaftet und 1934 wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit verurteilt.

Alles andere als leicht gestaltete sich das Schicksal der im Pfarrsprengel Paulskoje tätigen Pastoren  nach 1917. Nach der von der Sowjetmacht verkündeten Trennung von Kirche und Staat emigrierten viele Geistliche aus Furcht vor Verfolgung aus dem vom Bürgerkrieg erschütterten Russland. Pastor Karl Gramer (1882–1974), der nach seiner Zeit in Paulskoje nach Charkow gegangen war, emigrierte 1918 nach Deutschland, wo er in Theologie promovierte und Präsident des Martin Luther-Bunds in Erlangen und Autor von der Geschichte des russischen Luthertums gewidmeten Forschungsarbeiten wurde. Pastor Karl Zimmer (1863–1939) ging 1921 aus dem Wolgagebiet zunächst nach Baku und nahm 1924 ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit an.

1927 schloss sich die verwaiste Gemeinde Paulskoje wie auch 14 weitere im Wolgagebiet gelegene lutherische Gemeinden der von der offiziellen Kirche abgespaltenen Freien Evangelisch-lutherischen Kongegrationskirche an, die mit der Sowjetmacht kollaborierte und in den Jahren 1927–35 bestand (eine vergleichbare Erneuerungsbewegung gab es auch in der Russisch-Orthodoxen Kirche). Die Gründung der Freien Kirche wurde auf der von dem früheren Küster Jakob Fritzler am 19.-21. Juli 1927 in der an Paulskoje grenzenden Kolonie Fischer (heute Krasnaja Poljana, damals Kanton Marxstadt, ASSR der Wolgadeutschen) einberufenen 1. Generalsynode der „Lebendigen Kirche“ verkündet. Unter Ausnutzung des faktischen Zusammenbruchs der Evangelisch-lutherischen Kirche in Russland, fehlender Kontakte zur Kirchenführung und der Massenemigration der Geistlichen erklärte sich der frühere Küster der Kolonie Fischer Jakob Fritzler zum Oberpastor und die an seine Kirche angeschlossenen Gemeinden für unabhängig von der Kirchenorganisation des Landes. Die Kirchenführung rief alle Gemeinden auf, Kontakte mit der neuen Kirche zu meiden. 1928 wurde Ernst Böse unmittelbar nach Abschluss des Leningrader Predigerseminars als neuer Pastor nach Paulskoje entsandt.

Dort sah sich der junge Pastor mit zahlreichen Schwierigkeiten, religiöser Verfolgung und Repressionen gegen die unter unablässiger Kontrolle von Seiten der Organe des NKWD stehenden Gläubigen konfrontiert. 1931 informierte die regionale Kommission für die Prüfung religiöser Angelegenheiten das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen in einem geheimen Bericht, dass es in der Kirchengemeinde Paulskoje noch 1.277 Gläubige gebe, von denen 41 den Status von „Lischenzy“ hätten, ihnen also das Wahlrecht und andere bürgerliche Rechte entzogen waren. Im Zuge der forcierten antireligiösen Offensive wurde in den 1930er Jahren jegliche religiöse Unterweisung der Kinder verboten. Hatte man Ende der 1920er Jahre noch Sondergenehmigungen des Zentralexekutivkomitees der UdSSR und des NKWD für die Erteilung von Konfirmandenunterricht bekommen können, war dies Anfang der 1930er Jahre völlig unmöglich. Als sich die Kirchengemeinde Paulskoje im August 1932 mit der Bitte an das Sekretariat des Zentralexekutivkomitees der ASSR der Wolgadeutschen wandte, den Kindern Konfirmandenunterricht erteilen zu dürfen, wurde der Antrag unter Verweis auf die bevorstehenden Ernteanstrengungen abgelehnt.

Der unmenschliche Antikirchenkampf ging mit der Schließung der Kirchen einher. Am 1. Juni 1934 informierte die Kommission für Kultfragen beim Zentralexekutivkomitee der ASSR der Wolgadeutschen das Präsidium der ASSR, dass die Kirche in Paulskoje von den Gläubigen noch genutzt werde, während viele andere Kirchen im Kanton Marxstadt bereits geschlossen seien. Das Präsidium des Zentralexekutivkomitees ordnete an, die Frage einer baldigen Schließung der Kirche zu prüfen. 1935 wurde Pastor Ernst Böse wegen angeblicher antisowjetischer Tätigkeit verhaftet und zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Bald nach seiner Verhaftung wurde auch die Kirche geschlossen.

Liste der Pastoren

Pastoren der Pfarrgemeinde Süd-Katharinensstadt, die in Paulskoje Gottesdienst hielten: Ludwig Balthasar Wern(m)borner (1768–76), Gottlieb May (1778–98), Johann Heinrich Buck (1798–1820), Karl Friedrich Wahlberg (1821–77), Hilfspastor Karl Erik Wahlberg (1861–62), Gotthilf Heinrich Keller (1878–1903). Pastoren der Pfarrgemeinde Paulskoje: Karl Gramer (1907–09), Karl Zimmer (1911–20), Johann Seydlitz (1918–27), Ernst Albert Böse (1928–35).

Entwicklung der Einwohnerzahlen

1767 lebten in Paulskoje 280 ausländische Kolonisten, 1773 waren es 326, 1788 - 297, 1798 - 374, 1816 – 546, 1834 - 956, 1850 – 1.320, 1859 – 1.675 und 1889 – 2.095 Personen. Nach den Daten der Allgemeinen Volkszählung des Russischen Reiches von 1897 hatte Paulskoje 2.424 Einwohner, von denen 2.421 Deutsche waren. Im Jahr 1904 hatte das Dorf 3.166, im Jahr 1910 3.701 Einwohner. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1920 lebten in Paulskoje 3.344 Personen. 1921 gab es im Dorf 149 Geburten und 386 Sterbefälle. Nach den Daten des Gebietsamzs für  Statistik des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen lebten in Paulskoje nach Stand zum 1. Januar 1922 1.856 und 1923 2.049 Personen. Nach den Daten der Allrussischen Volkszählung von 1926 gab es im Dorf 410 Haushalte (davon 408 deutsche) und eine Gesamtbevölkerung von 2.370 Personen (1.160 Männer und 1.210 Frauen), von denen 2.366 Deutsche waren (1.157 Männer und 1.209 Frauen). 1931 hatte Paulskoje 3.071 Einwohner, von denen 3.070 Deutsche waren.

Das Dorf heute

Heute Dorf Pawlowka, Rayon Marxstadt, Gebiet Saratow. Hinsichtlich der Zahl der erhaltenen deutschen Häuser ist das heutige Pawlowka wohl einzigartig in der Region. Auch heute noch prägt die kolonistische Dorfarchitektur das Erscheinungsbild des Dorfes. Die erhaltenen deutschen Wohnhäuser spiegeln ein breites Spektrum an Häusern unterschiedlicher Bauart: Holz- und Steinbauten, Häuser mit Anbauten und Dachfenstern, mit kunstvollem Backsteinmauerwerk und über den Fenstern gemauerten Simsen, Häuser mit Walm- und mit Satteldach. An vielen Wohnhäusern sind bis zum heutigen Tag noch aus deutscher Zeit erhaltene Tafeln mit Darstellungen von Eimern, Schaufeln oder Feuerhaken zu finden, die sich auf historische Brandschutzmaßnahmen zurückführen lassen. So schrieb Artikel 9 der „Instruktion über die innere Ordnung und Verwaltung der Wolgakolonien“ von 1800 allen Dorfbewohnern vor, auf ihren Höfen oder Häusern zu markieren, wer mit welchem Werkzeug zu einem Feuer kommen musste. Deshalb waren an allen in den deutschen Kolonien stehenden Häusern entsprechende Tafeln mit Hinweisen angebracht, welches Instrument der Hausherr im Brandfall mit sich führen sollte.

Am Beispiel Pawlowkas lässt sich die Vielfalt des deutschen historischen Erbes im Bereich der dörflichen Wohnhausarchitektur auch heute noch ideal studieren – verschiedene Haustypen und Bauverfahren, Organisation der Hofstellen, Verbreitungsgrad typischer nationaler Traditionen usw. Die frühere lutherische Kirche und das Schulgebäude sind im heutigen Pawlowka nicht mehr erhalten. 1984 wurde ein neues Schulgebäude errichtet.

Literatur

Георги И. Описание всех, обитающих в Российском государстве народов. – СПб., 1799. – Ч. 4; Герман А.А. Немецкая автономия на Волге. 1918–1941. – Часть II. Автономная республика. 1924–1941. – Саратов, 1992–1994; Князева Е.Е., Соловьева Ф. Лютеранские церкви и приходы ХVIII – ХХ вв. Исторический справочник. – СПб., 2001. – Часть I; Лиценбергер О.А. Евангелическо-лютеранская церковь и Советское государство (1917–1938). – М., 1999; Немецкие населенные пункты в Российской Империи: География и население. Справочник / Сост.: В.Ф. Дизендорф. – М., 2002; Плеве И.Р. Немецкие колонии на Волге во второй половине ХVIII века. – М., 1998; Полное собрание законов Российской Империи. Собр. 1. Т. XXVI. СПб., 1832. С. 313–314; Терехин С. Поселения немцев в России. Архитектурный феномен. – Саратов, 1999; Einwanderung in das Wolgagebiet: 1764–1767 / Hrsg.: Alfred Eisfeld. Bearb.: Igor Pleve. Bd. 3. Kolonien Laub – Preuss. Göttingen: Göttingenger Arbeitskreis, 2005; Kahle W. Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Sowjetunion. 1917–1938. – Leiden, 1974; Deutsche Volkszeitung. – 14. Februar 1910. – №40; Volkszeitung. – 8. Juni 1914. – №45; – 15. Juni 1914. – №47; – 29. Juni 1914. – №51.

Archive

Archive: ГАСО. Ф. 180. Оп. 1. Д. 2249, 12489, 25226; Ф. 637. Оп. 22. Д. 132–140. Оп. 2. Д. 3039; ГИАНП. Ф. 849. Оп. 1. Д. 834. Л. 81; Д. 890. Л. 36; Д. 1002. Л. 26, 36; Ф. 1831. Оп. 1. Д. 94. Л. 212–213; Д. 299. Л. 118.

Autoren: Lizenberger O.A.

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