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HERRNHUTER , Anhänger einer der Strömungen im Protestantismus

Rubrik: Religion

HERRNHUTER, Mährische Brüder, Böhmische Brüder, Unitas Fratrum, Evangelische oder Erneuerte Brüder-Unität, in der englischsprachigen Literatur auch Kontinental-Pietisten (Continental Pietists). Anhänger einer protestantischen Glaubensbewegung, deren Wurzeln in der böhmischen Reformation des 16. Jahrhunderts liegen.

Die Herrnhuter Brüdergemeinde entstand 1722, nachdem zahlreiche Glaubensflüchtlinge auf der Flucht vor der Gegenreformation aus Böhmen und Mähren nach Sachsen gekommen waren. Ihre Glaubenslehre ähnelt dem Luthertum, da sich die Böhmischen und Mährischen Brüder, deren Reihen die ersten Gemeindemitglieder entstammten, zum Augsburger Bekenntnis von 1530 bekannten. Die Herrnhuter predigen christliche Frömmigkeit und Buße, erkennen die Sakramente der Taufe und des Abendmahls an, erachten die Einmischung weltlicher Mächte in religiöse Dinge für unzulässig und lehnen den Dienst an der Waffe, die Ableistung staatlicher Dienste sowie die Zahlung von Militärsteuern ab. Wesensmerkmal der Herrnhuter Glaubenslehre ist der sogenannte Herzensglaube - das emotionale Erleben des Einsseins mit Jesus Christus als dem Beschützer und Erlöser der Welt. Daher rührt die hohe Emotionalität des religiösen Erlebens und der Pietismus der Herrnhuter.

In Sachsen fanden die Herrnhuter in Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (*1700, † 1760) einen Beschützer, der ihnen auf seinem bei Dresden gelegenen Gut Berthelsdorf Aufnahme gewährte, wo sie 1722 die Kolonie Herrnhut gründeten, die der neu entstandenen Gemeinde ihren Namen gab. 1727 erkannte eine aus Dresden kommende Kommission die Herrnhuter aufgrund eines Gutachtens von Theologen der Universität Tübingen als eigenständige christliche Gemeinschaft an, der zu diesem Zeitpunkt insgesamt 300 Personen angehörten. Später wurden in Hessen, Herrnhaag und Marienborn (Sachsen), Gnadenberg, Gnadenfrei und Gnadenfeld (Schlesien) sowie in Preußen Gemeinden der Herrnhuter gegründet. 1737 wurde Zinzendorf zum Bischof der Mährischen Kirche in Preußen ordiniert. 1742 erhielt die Bruderschaft eine „Generalkonzession“ auf das Recht zum Bekenntnis. 1748 wurde sie in Sachsen und 1749 in Sachsen-Anhalt als eigenständige Kirche anerkannt.

Auf den Synoden von 1764, 1769 und 1775 wurden die Organisationsprinzipien der in den Jahren 1762-92 von Zinzendorfs Nachfolger August Gottlieb („Josef“) Spangenberg geführten Bruderschaft formuliert. Die Brüder-Unität ist synodal organisiert, wobei die Bischöfe und Diakone ausschließlich geistliche und keine Verwaltungsaufgaben erfüllen. Alle Angelegenheiten werden von der Unitätsdirektion bzw. der aus zwölf Personen bestehenden „Versammlung der Unitätsältesten“ geführt, die ihren Sitz seit 1791 in Berthelsdorf hat. Die Tätigkeit der „Unitätsdirektion“ wird von der alle 7-12 Jahre zusammenkommenden Synode der vier Provinzen (Amerika, Großbritannien, Kontinentaleuropa und seit 1879 Asien) kontrolliert. Der wahre Führer ihrer Bruderschaft ist nach Ansicht der Herrnhuter Jesus Christus, dessen Willen sie mit Hilfe von Losungen zu ergründen versuchen (1741 „schlossen“ die Herrnhuter einen Bund mit dem Erlöser, dem zufolge die gesamte Bruderschaft und jedes einzelne ihrer Mitglieder besonderen Schutz genießt). Die Gemeinde der Herrnhuter ist in „Chöre“ gegliedert, denen die einzelnen Mitglieder je nach Geschlecht, Alter, Familienstand und Lebensbedingungen zugeteilt sind. Unverheiratete Männer leben im Brüderhaus, wo sie mit künstlerischen und handwerklichen Arbeiten beschäftigt sind und zum gemeinsamen Gebet zusammenkommen. Die Glaubenslehre der Herrnhuter ist in Bischof Spangenbergs 1779 verfasstem Buch „Idea fidei fratrum“ niedergelegt. Da die Herrnhuter Erlösung allein durch den Glauben erwarten, legen sie keinen Wert auf äußere Rituale und religiöse Doktrinen. Die Liturgie der Herrnhuter entspricht der evangelisch-christlichen. Geistliche Musik und Gesang spielen eine zentrale Rolle, allabendlich werden Betversammlungen abgehalten. Am Ostermorgen wird auf dem Friedhof der Toten gedacht.

 

Die Herrnhuter betreiben aktive Missionsarbeit (Proselytismus). Ihre Missionswerke werden von der entsprechenden Abteilung der „Unitätsdirektion“ geleitet. Die Missionare und Prediger werden im Pädagogium in Niesky sowie im Theologischen Seminar in Gnadenfeld ausgebildet (1818).

Erste Anhänger der Bruderschaft kamen bereits im frühen 18. Jahrhundert nach Russland (Gouvernement Livland). Größere Verbreitung fand die Glaubenslehre der Herrnhuter im Gefolge der Anwerbung ausländischer Siedler in das Wolgagebiet. Das Manifest der Zarin Katharina II. vom 22. Juni 1763 sicherte ihnen das Recht auf uneingeschränkte Religionsausübung zu. 1765 gründeten Herrnhuter die bei Zaricyn (Gouvernement Astrachan) gelegene Kolonie Sarepta. Da sie unter Orthodoxen keine Mission betreiben durften („Regeln für die Ansiedlung der Bruderschaft der evangelischen Gemeinschaft“, 1765), verfolgten sie eine Politik der Selbstisolation und hielten engen Kontakt zur Unitätsdirektion. Später gründeten sie weitere, weniger bedeutende Siedlungen unter den deutschen Kolonisten sowie im Großfürstentum Finnland und im Königreich Polen. Auch wenn die Herrnhuter Gemeinden in engem Kontakt zur evangelisch-lutherischen Kirche Russlands standen und dieser oft unterstellt waren, wurde ihr Gemeindeleben durch eigene, 1834 beschlossene Regeln reglementiert. Wo die Herrnhuter über keine eigenen Bethäuser verfügten, besuchten sie lutherische Gotteshäuser.

Die Herrnhuter Gemeinde in Sarepta stellte für die deutschen Kolonien des Wolgagebiets ein besonderes Kultur- und Bildungszentrum dar. Die Herrnhuter betrieben Missionsarbeit und verbreiteten theologische Literatur (die in Berlin herausgegebene Sammlung religiöser Texte „Tägliche Losungen und Lehrtexte“ wurde von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an in der ganzen Welt in 94.000 Exemplaren pro Jahr verbreitet). In Sarepta gründeten die Herrnhuter die erste öffentliche Bibliothek des Wolgagebiets, die unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit von der gesamten Bevölkerung der Region genutzt wurde. Die Herrnhuter propagierten die Ideen der pietistischen Erweckungsbewegung in Deutschland, Großbritannien und später auch Russland und trugen maßgeblich dazu bei, dass diese unter den deutschen Kolonisten und insbesondere unter den Mennoniten weite Verbreitung fanden. Von 1894 an war die Herrnhuter Gemeinde in Sarepta der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands unterstellt, von 1904 an gehörte die Pfarrgemeinde Sarepta zum Probsteibezirk der Bergseite der Wolga (rechtes Ufer). Das Toleranzedikt von 1905, das allen Volljährigen die freie Wahl ihrer Konfession zugestand, sowie die nach der Februarrevolution von 1917 von der Provisorischen Regierung eingeleiteten Maßnahmen schufen günstige Bedingungen für die Herrnhuter Gemeinden. Zugleich sahen sie sich allerdings in den Jahren des Ersten Weltkriegs (1914-18) im Zuge der antideutschen Kampagne Verfolgungen ausgesetzt.

Nach der Oktoberrevolution von 1917 galt auch für die Gemeinden der Herrnhuter das Dekret des Rats der Volkskommissare und des Zentralexekutivkomitees über die Trennung der Kirche von Staat und Schule (23. Januar/ 5. Februar1918). Der Besitz der Herrnhuter Gemeinden wurde zu Volkseigentum erklärt und später enteignet. Mitte der 1920er Jahre durften alle religiösen Organisationen im Zuge der Neuen Ökonomischen Politik Missionstätigkeit betreiben. Zur Zeit der Massenrepressionen der 1920er und 1930er Jahre waren die Herrnhuter Verfolgungen bis hin zum völligen Verbot ihrer Tätigkeit und dem Abbruch ihrer Kontakte zu den ausländischen geistlichen Zentren ausgesetzt. 1930 wurde der letzte Pastor von Sarepta K. Rusch verhaftet (1941 erschossen) und die Kirche geschlossen. Die Anhänger der Herrnhuter Glaubenslehre gingen in die Illegalität. Von 1944 an gehörten die Herrnhuter Gemeinden dem Allunionsrat der Evangeliumschristen und Baptisten an, der zu diesem Zeitpunkt die einzige legal in der Sowjetunion bestehende evangelische Organisation darstellte. Erst in den Jahren 1985-91 konnten die religiösen Organisationen der Bruderschaft ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde 1994 in dem im Gebiet Nikolajewsk (Ukraine) gelegenen Dorf Bogamka eine Kirchengemeinde der Mährischen Brüder registriert. Auf dem Gebiet der Russischen Föderation wurde die Gemeinde der Herrnhuter 1995 auf Initiative der Mitarbeiter des Museumsparks „Alt Sarepta“ wiedererrichtet. Im Mai des gleichen Jahres begann die Restaurierung der Kirche, die im Mai des folgenden Jahres geweiht wurde. Jeden Sonntag finden dort Gottesdienste in deutscher Sprache mit russischer Übersetzung statt.

Literatur

Autoren: Čerepanova N.G.

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